Predigt am 8. Januar 2023 in der Kathedrale St. Sebastian – am Fest Taufe des Herrn
Apg 10,34-38 & Mt 3,13-17
Was wird einmal aus meinen Enkeln oder Urenkeln werden? Diese Frage stellte man mir unvermittelt, als ich vor einigen Jahren in der Altmark einen Einkehrtag für Männer gehalten habe. Das Thema des Tages war die Taufe. Eigentlich sollte es um die spirituelle Bedeutung der Taufe und ihrer Zeichen für den Einzelnen gehen. Doch es gab einen Elefanten im Raum; eine Frage, die sich fast jeder stellte und die dann doch irgendwie zur Sprache kam: Was wird aus unseren Kindern, Enkeln, Urenkeln? Was wird aus ihnen, wenn Sie nicht mehr zur Kirche kommen? Was wird aus ihnen, wenn Sie gar aus der Kirche ausgetreten sind? Haben wir vielleicht versagt?
Lieber Bruder, liebe Schwester, hast du dir diese Frage auch einmal gestellt? Was wird aus ihnen werden? Hast du dir die Frage im Blick auf die Menschen gestellt, die du liebst: im Blick auf deine Kinder, auf deine Enkel? Deine Geschwister? Und diese Frage stellt sich ja immer mehr angesichts der vielen Menschen, die unsere Kirche verlassen. Im letzten Jahr waren es in unserer Pfarrei hier an der Kathedrale 75.
Was wird aus unseren Kindern, Enkeln, Urenkeln?
Die Gründe dürften sehr unterschiedlich sein: Für die Einen ist der Austritt das fast logische Ende einer inneren Entfremdung vom Religiösen. Und um ehrlich zu sein, wahrscheinlich hat die Performance von „Gottes Bodenpersonal“ auch zu dieser Entfremdung beigetragen. Für Andere ist es die erlebte Enttäuschung über die mangelhafte Aufarbeitung der Missbrauchstaten. Manche wollen die Schwerfälligkeit und mangelnde Reformfähigkeit der Kirche nicht mehr aushalten. Andere schließlich werden gerade in den letzten Jahren entdeckt haben, dass sie sich religiös gut selbstständig machen können – als Christ und Christin ohne die Bindung an die Kirche leben können.
Wie wird sich Gott zu den Menschen verhalten, die auf Distanz zu ihm zu gehen scheinen?
Liebe Geschwister, wie wird sich Gott zu den Menschen verhalten, die auf Distanz zu ihm zu gehen scheinen? Schreibt er sie ab? Nimmt er die Taufe wieder zurück? Nimmt er jenes Zeichen zurück, dass am Anfang des Lebens eines Christenmenschen steht – sei es als Kind oder als Erwachsener. Jenes Zeichen, an das wir heute besonders denken. Genau das war die Frage, die die Männer vom Einkehrtag in der Altmark umgetrieben hat: Wendet sich Gott von ihren Lieben ab?
Das Evangelium des heutigen Tages stellt uns sehr genau vor Augen, was Taufe bedeutet. Jesus selbst und seine Taufe sind der Anfang, in deren Folge wir bis heute stehen. Bei der Taufe Jesu geschehen zwei Dinge, die von da an jedem Christenmenschen gelten: Das ist einmal die Gabe des Geistes, der geschenkt wird. Das Evangelium berichtet von einer Erfahrung Jesu, dass der Geist auf ihm herabschwebt – so unvermittelt und zugleich sanft wie eine Taube, die auf einen Platz herniedersegelt. Das ist das Eine. Und Jesus hörte dann auch eine für ihn wichtige Ansage: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ (Mt 3, 17)
Diese Ansage gilt für Jesus auf seinem Lebensweg, sie gilt auch für die nach ihm getauften, für uns und sie wird zu einem Versprechen: Du bist meine geliebte Tochter! Du bist mein geliebter Sohn! Das gilt Dir, und Dir, und Dir. Du bist mein geliebtes Kind! Diese Ansage ist das Andere. Gemeinsam ist beidem, dass es ganz unvermittelt geschieht. Das Einzige, was Jesus tut, ist sich Gott zuzuwenden – „die Gerechtigkeit erfüllen“ (Mt 3,15) – heißt es im Evangelium – und sich von Johannes taufen zu lassen. Unvermittelt – fast spontan – erlebt Jesus ein tiefes Gefühl des Angenommen sein – geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe – man könnte es auch so übersetzten: dem ich mit Wohlwollen begegne.
Es sind zwei große Dinge, die von Gott entgegenkommen: Es ist die Gabe des Geistes und das Versprechen, geliebt zu sein.
Es sind zwei große Dinge, die einem Getauften – uns allen – oder einer Neugetauften entgegenkommen: eine Gabe und ein Versprechen. Es ist die Gabe des Geistes und das Versprechen, geliebt zu sein. Das sind steile Ansagen, aber es geht hier ums Ganze. Und das sind Aussagen, die Gott nicht zurücknimmt. Sie gelten ein Leben lang, jeden Tag, jede Stunde. Gott nimmt das nicht zurück, niemals, bei keinem, auch bei Dir nicht.
Diese Zusage gilt auch den Menschen, die sich für ein Leben fern oder außerhalb der Glaubensgemeinschaft Kirche entschieden haben oder einfach dort gelandet sind. Seine Gabe und sein Versprechen wird er nicht zurücknehmen, denn er ist ein treuer Gott. Das heißt: Er wird sein Werben und diese Söhne und Töchter nicht aufgeben, sondern immer fortsetzen, immer wieder, immer wieder neu. Gott geht mit ihnen durch ihr Leben, vielleicht verborgen, aber immer dabei in allen Höhen und Tiefen, selbst, wenn sie fern sind.
Wie verhalten wir uns zu den Menschen, die ausgetreten sind?
Und wie verhalten wir uns zu den Menschen, die ausgetreten sind? In der Apostelgeschichte, die wir vorhin gehört haben, bringt es Petrus auf den Punkt und gibt uns einen Hinweis: „Wahrhaftig,“ – so sagt er – „jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apg 10,34b-35) Seine Haltung ist: ohne Ansehen der Person, ein Willkommen, keine überhöhten Ansprüche – denn es genügt, Gott zu fürchten und das Rechte zu tun. Ich glaube, dass uns diese Haltung helfen kann, Menschen gut zu begegnen, die nicht mehr zur Kirche gehören wollen – umso mehr, wenn es sich um Menschen handelt, die uns nahestehen und die wir lieben.
Menschen treten aus der Kirche aus. Ich kann manche auch verstehen, die sich dafür entscheiden. Dass sie gehen, macht mich aber traurig. Gerne würde ich sie halten. Zugleich macht es mich nachdenklich: Denn ich könnte wirklich nicht behaupten, dass aufgrund des Kirchenaustrittes in jedem Fall kein Glaube mehr da sei. Das weiß ich einfach nicht. Ich vermute eher das Gegenteil! Denn unsere ausgetretenen Geschwister werden auf ihre Art und Weise den Glauben leben. Sie werden ihre christlichen Werte festhalten. Wahrscheinlich werden sie auch auf ihre Art und Weise zu Gott beten. Ich glaube, wir tun gut daran, Gottes Beispiel nachzuahmen: seine geliebten Töchter und Söhne ohne Ansehen der Person aber mit ernstgemeintem Wohlwollen anzuschauen – auch die Ausgetretenen.
Ich glaube, wir tun gut daran, Gottes Beispiel nachzuahmen: Seine geliebten Töchter und Söhne ohne Ansehen der Person aber mit ernstgemeintem Wohlwollen anzuschauen – auch die Ausgetretenen.
Was kann die Antwort auf die Frage der Männer aus der Altmark und vielleicht auch unsere Frage sein: Wird Gott sich von ihnen abwenden? Ich denke die Antwort könnte lauten: Gott nimmt sein „Ja“ nicht zurück, das er in der Taufe gesprochen hat. Darum wird er auch meine Lieben – so wie sie leben – nicht abschreiben, niemals.
Musik von Ronald Kah (Happy Intro), Web: https://ronaldkah.de
Foto von Yuri Catalano: https://www.pexels.com/de-de/foto/mann-und-frau-handchen-haltend-127420/